Samstag, 14. März 2009

BELUGA RACER - Die Kap Hoorn-Taktik

Das Ice Gate ist passiert und Kap Hoorn ist die nächste Aufgabe auf dem Weg nach Ilhabela/Brasilien. Im neusten Podcast erklärt Felix, warum die Chilenen gerne als erste Kap Hoorn passieren dürfen.

Dazu der letzte Textbericht:

Augenblicke für die Ewigkeit

März 13, 2009 
Felix Oehme über das Beluga-Duo, Kap Hoorn und moderne Seefahrt

Fast 100 Seemeilen jagten der Kieler Boris Herrmann und Felix Oehme aus Hamburg am Freitagmittag (13. März) mit der „Beluga Racer“ zur Halbzeit des Portimão Global Ocean Race um die Welt hinter den Chilenen Cubillos/Muñoz auf der „Desafio Cabo de Hornos“ her. Die Führung in der Gesamtwertung (6,5 Punkte) war dadurch jedoch nicht gefährdet. Auf der dritten Etappe von Neuseeland nach Brasilien lag die Eisgrenze hinter den Teilnehmern und noch 3.400 Seemeilen sowie erneut ein schwerer Sturm vor ihnen. Vor der bedeutsamen Rundung Kap Hoorns schrieb Co-Skipper Felix Oehme seine Gedanken zum Segeln zu zweit in einer Email von Bord und verglich die Seefahrt damals mit heute:

„Bevor die Sonne gestern Abend in den Pazifik tauchte und ihre letzten Sonnenstrah-len des Tages von achtern in unser Cockpit warf, standen wir mit einer(!) Dose Bier zusammen und genossen die Atmosphäre. Der Vorsprung der Chilenen machte uns noch keine allzu großen Sorgen, da wir nicht glaubten, sie können in ein anderes Wettersystem entweichen und auf und davon sein.

Wie wäre es nun, ganz alleine hier zu sein? Das Boot lässt sich alleine segeln, das ist keine Frage. Das machen wir ja oft genug, wenn der andere schläft. Aber kritische Situationen meistern sich besser zu zweit. Jetzt sind wir schon seit sieben Monaten fast jeden Tag zusammen an Bord. Und immer noch bin ich froh, dass wir zu zweit sind. Wir haben Stürme erlebt und lange Weile bekämpft. Zielankünfte zusammen gefeiert und bis zur Erschöpfung die Starts vorbereitet. Wir erleben dieses Abenteuer zu zweit, wie wir gerade den Abend zu zweit genießen, und das ist schlichtweg fabelhaft.

Noch etwa eine Woche bis zum Kap Hoorn. Wie wird es sich anfühlen, um diese be-rüchtigte Landmarke herum zu segeln? Große Freude, endlich wieder in ruhige atlantische Gewässer zu navigieren? Oder wiegt der Abschied aus dem beeindruckenden Südpolarmeer schwerer? Oder werden wir einfach gestresst sein, von großen Wellen, viel Wind, nahem Land und Felsen und dazu noch Telefonate, Video filmen und Podcast aufnehmen? Werden wir es überhaupt genießen können?

Ich frage mich oft, ob ich der Situation gerecht werde, wenn ich einen historischen Ort betrete oder einen großen Moment erlebe. Natürlich nehme ich solche Zeitpunkte als etwas ganz Besonderes war. Aber wie soll ich mich verhalten? Es sind Augenblicke für die Ewigkeit, die niemand verpassen wollte. Muss ich mich deshalb darauf konzentrieren? Was habe ich getan, als ich meine letzte Klausur geschrieben habe, und als ich mein Diplom in den Händen hielt? Wie war das noch am Kap der Guten Hoffnung, das wir auch zu Fuß besucht haben? Ich will Kap Hoorn in meinen Erfahrungsschatz aufnehmen und einfach nur genießen!

Dieser mystische Fleck Erde zeigt extrem deutlich, wie sich die Seefahrt verändert hat. Es ist gerade einmal 50 Jahre her, als die ‚Pamir‘ als letzter Handelssegler ohne Motor dieses Kap umrundet hat. In meiner Heimatstadt Lübeck liegt eines ihrer Ret-tungsboote in der Petrikirche zum Gedenken an die auf See gebliebenen Seeleute. Heute passieren überwiegend Regattayachten dieses Kap, während die Großschifffahrt Kanäle nutzt.

Ob als Soloskipper im Vendee Globe, wie wir als Zwei-Mann-Team im Portimão Global Ocean Race oder wie die Volvo Ocean Racer mit einer kompletten Crew, wir alle haben hochmoderne Yachten, die mit elektronischer Navigation zu jeder Zeit ihren genauen Standpunkt wissen. Wir können Emails versenden und telefonieren, ja so-gar Videos auf unsere Webseite stellen. Der Autopilot hält Kurs, und das 24 Stunden am Tag und besonders bei Nacht nicht schlechter als ein Steuermann aus Fleisch und Blut. Dies ist nicht mit der Seefahrt vergangener Tage zu vergleichen.

Sobald wir aber an Deck kommen wird es vergleichbarer. Gischt spritzt einem in die Augen, die Hände werden klamm. Eine Hand für den Mann, die andere für das Boot! Solche scheinbar antiquierten Leitsätze haben noch heute ihre Gültigkeit.

Unser Sextant an Bord symbolisiert den Wandel. Wir haben einen extrem leichten Kunststoffsextanten an Bord. Doch die letzte Standortbestimmung mit Sonne und Sternen liegt bei Boris schon lange zurück, und ich habe mich damit noch gar nicht beschäftigt. Wir vertrauen den GPS-Geräten und den elektronischen Seekarten. Nur vom Zielgebiet und möglichen Notstopphäfen haben wir auch Papierseekarten dabei. Manchem erfahrenen Seebären wird dies leichtsinnig vorkommen.

Wie gefährlich ist so eine Regatta eigentlich? Welches Risiko nehmen wir in Kauf? Ist es mutiger, eine Regatta um die Welt zu segeln, oder einen Kredit für ein Haus aufzunehmen? Die Antwort weiß vielleicht die Sonne. Aber deren letzte Strahlen sind gerade hinter dem Horizont verschwunden und lassen nur noch die Unterseiten der Wolken in warmen Farben leuchten. Es wird kühler, wir jagen die Chilenen weiter, die Nacht beginnt.“