(von Boris) Episode 1: Hochseefischer
Es ist hell. Meine Wache. Felix Schläft. Das Thermometer im Schiff zeigt 11 Grad. Draußen im Wind ist es kälter. Keine romantische Passatnacht unter Sternenhimmel, wenngleich wir entsprechend besegelt sind mit großem Spi und ungerefftem Groß bei 18 Knoten Raumwind. Zwischen meinen Kontrollgängen alle 20 Minuten verziehe ich mich ebenfalls in den Schlafsack.
5 Uhr UTC: Es rauscht mächtig an der Bordwand neben meiner Rohrkoje, ich winde mich aus dem Schlafsack und klettere ins Cockpit: Maßvolle Gleitfahrt alles gut eingestellt, also schnell wieder in die Wärme des Schlafsacks.
5 Uhr 5 UTC: das Schiff krängt. Ich liege sprungbereit. Es krängt weiter als üblich. Die Strömung reißt am Ruder ab, mit einem lauten Schlürfgeräusch. Etwas behindert vom zugezogenen Schlafsack bin ich nicht so schnell draußen wie sonst. Ein normaler Sonnenschuß denke ich und will zur Spischot greifen. Dabei gucke ich routinemäßig (ein Sonnenschuss ist nichts so ungewöhnliches) unter dem Großbaum durch zum Spinnaker werfe ihn komplett los, werfe auch das Groß auf, bis wir wieder auf Kurs sind und ich die schlagenden Segel wieder bändige. Doch diesmal sehe ich in Lee unter dem Groß eine riesige weiße Blase im Wasser. Sofort denke ich, das Spifall sei ausgerauscht und hechte zum Fallstopper. Von dort aus kann ich in Luv nach vorne schauen und sehe den etwa ein Meter großen Restfetzen vom Masttopp wehen. Der Spi ist sauber von seinem Top abgetrennt. Ich falle 20 Grad ab springe etwas hektisch erst mal in mein Ölzeug und wecke Felix. 3 Minuten Später sind wir beide auf dem Vorschiff angeleint mit Schwimmwesten dabei die Nummer “Junior-Hochseefischer ohne professionelles Fanggerät bei der Arbeit” aufzuführen. Die Finger werden etwas taub von dem kalten Wasser. Ein paar Mal müssen wir das große Netz wieder sausen lassen, weil das Meer es am liebsten samt uns über die Reling zurückreißen möchte. Wir gewinnen nach zehn Minuten erbittertem Kampf. Zwischendurch allerdings schauen wir und an: “Hast du dein Messer, wir brauchen ihn doch eh nicht mehr?” Aber irgendwie bringen wir es nicht übers Herz. So liegen wir erschöpft mit einem zerknüddelten 185 m² Haufen nassen Nylon-Spituchs auf dem Vordeck. Auch das Fall haben wir wieder, denn im Vorliek des asymmetrischen Segels ist ein starkes Dyneemaband, an dem wir den Kopf samt Fall bequem aus dem Masttopp bergen können, ohne hochklettern zu müssen.
Ich sitze zerknirscht im Cockpit. Mir ist nach Schreien und Heulen zumute. Vor allem verstehe ich nicht, wieso das Ding gerissen ist. Wir haben 18 bis 20 Knoten Wind. Das ist ganz ordentlich, aber auf der ersten Etappe und beim Quebec Rennen sind wir auch mit 28 bis 30 Knoten noch unter großem Spi gelaufen, was dann allerdings etwas grenzwertig ist. Das Tuch ist außerdem extra stark und das Segel neu. Ein paar Minuten zuvor war alles noch ordentlich gewesen. Ich kann es mir nur so erklären, dass in der nächtlichen Flaute eins der Lieken an der obersten Saling angerissen wurde, ich das übersehen habe und bei der Sonnenschußböe von dort aus das gesamte Segel gerissen ist. Wie auch immer. Es ist für die Etappe nicht so tragisch, da wir den gleich Spi noch mal an Bord haben nur in etwas dünnerem Tuch. Für mein Budget ist es natürlich ein ziemlicher Schlag nach hinten. Vielleicht kann ich ja diesen Bericht gleich als Schadensmeldung für die Versicherung verwenden. Und nach einigen Minuten der Besinnung freue ich mich, dass wir es geschafft haben, das Tuch zu retten. Das Gewicht des nassen Segels ist nicht so tragisch, vielmehr können wir es in Wellington von North Sails wieder zusammenflicken lassen, haben den Bergeschlauch wieder und wenn uns (toi toi toi) auch der leichte, große Spi reißen sollte na dann sperre ich Alphonso mit unserem Original Beilken Segelmacherequipment (von Freund Mazze Beilken an Bord gebracht) ins Vorschiff, bis wir wieder einen Spi haben.
Episode 2:
Das Südmeer macht seinem Ruf alle Ehre und fordert uns heraus Durch dasitzen und dem Spi nachheulen werden wir auch nicht schneller, außerdem will Felix in seine Koje zurück und hat etwas Schlaf verdient, protestieren seine müden Augen. Also nicht lange fackeln: kleiner Spi hoch.
Irgendwas in mir warnt mich und ich bin mir unsicher. Beim Hochziehen; Felix zieht am Mast, ich hinter der Winsch, blicke ich auf den Windmesser und sehe 27 Knoten-Böen. Mir ist nicht geheuer und ich denke, wir machen gerade nicht das Richtige. Etwas später sitze ich an der Pinne und fühle mich noch unsicherer. Normal-spektakuläre Gleitfahrt, das Wasser spült über Deck und mir über die Oberschenkel. Es hat aufgebriest und eine steile Dünung hat sich seit dem Morgen eingestellt. Für den Autopiloten ohne Standby im Cockpit ist das nichts. Ich brauche aber erstmal was in den Magen und Felix seinen schlag, also wieder runter mit dem Spi und hoch mit dem Code 5, der Wurst, die wir am Bugsprit setzen und dann zu einer großen Genua ausrollen. Ich sag noch zu Felix. Irgendwas stimmt nicht mit dem Wetter. Das Barometer steigt und trotzdem nimmt der Wind zu. Außerdem sind da so Dunstschwaden auf der Wasseroberfläche. Der erste richtige Kontakt mit dem Southern Ocean. Er hat uns ein Zeichen gegeben: “Jungs passt auf, ich bin keine lahme Passatmutti, ich verlange Respekt.”
Gerade ist Felix in der Koje und ich aus dem Ölzeug gepellt, da schießen wir schon wieder aus dem Ruder und legen uns weit über. Das Meer ist mittlerweile von Schaumstreifen überzogen und die Böen sprühen die Gischt von den Wellenkämmen. Weg mit dem Code 5 rufe ich zum Angriff. Felix geht gleich in den Trockenanzug. So eine Code-Wurst einzurollen ist bei Wind gar nicht so einfach. Da es kein festes Profilvorstag gibt, ist es schwer auch den Top zum Aufrollen zu bewegen. So bilden sich oben leicht Taschen und dann kann alles mögliche Unangenehme passieren.
Beim ersten Rollversuch geht genau das schief. Es ist mittlerweile echt windig und dementsprechend Laut. Durch die dicken Ölzeugkragen fällt auch die Verständigung schwer. Ich klopfe Felix, der sich mit der Winsch zum Einrollen abkämpft wie wild auf den Rücken. Wir koordinieren uns nicht ganz richtig und halten die Furlingleine (mit der man die Rolltrommel und also die ganze Wurst aufdreht) nicht ausreichend unter Spannung. Das Segel rollt sich wieder ab und die Rolleine munter mit auf, anstatt, dass diese durch die Rolltrommel gespult würde, wickelt sich die Leine unkontrolliert um die Wurst. Meine Nerven sind schon dünn wie Eis, wegen der Spinummer und ich tobe einen Moment, wie dieses Jahr erst eins zwei Mal. Das hilft natürlich nichts. Wir versuchen unser Bestes an der Leine aber das Geschehen da vorne zwei Meter vor dem Bug entzieht sich unserer Kontrolle. Plötzlich ist die Leine zwar frei aber dafür ganz aus der Rolltrommel gesprungen, etwas das mir zuvor noch nie passiert ist. Es gibt nun die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entweder bei bis zu 19 Knoten Surfs auf den Bugsprit klettern oder versuchen das Segel bei den nun über 30 Knoten starken Böen, wie einen konventionellen Spi zu bergen.
Ich klettere unter Deck, entledige mich des schweren Ölzeugs und Zwischenschicht und steige leicht bekleidet in meinen Überlebens-”Trainingsanzug” für eine kleine akrobatische Einlage. Kurz schwanke ich zwischen Schwimmweste oder nur Sicherheitsgurt, aber dann ist es mir wichtiger, schnell fertig zu werden, anstatt in dem zunehmenden Wind noch mehr Zeit zu verlieren und irgendwie ist es so eine Gewohnheit mit der Schwimmweste. Sie geht da vorne auf dem Bugsprit natürlich sofort auf, behindert mich aber nicht beim arbeiten. Zweimal zögere ich und klettere wieder zurück. Werd ich mich halten können, wenn der Bug in eine Welle unterschneidet? Das Groß ist schon im zweiten Reff und die Code 5 Schot so weit gefiert, dass er gerade nicht Schlägt. Dann könnte man nämlich gar nicht arbeiten. Felix steuert mit ruhiger Hand und ich gewinne Vertrauen.
Mit zwei Gurten gesichert klettere ich wieder über den Bugkorb auf den Sprit und robbe nach vorne. Zum Glück bleibt der Sprit weitgehend über den Wellen, wenn wir mit Speed von hinten auf diese auffahren. Nur einmal muss ich mich mit beiden Armen festklammern, weil das Wasser an meinen Hüften und Beinen zieht, wie eine Krake. Alles was ich nicht will, ist mit meinem Gurt schön in unter dem Bug zu hängen und von der Rauschefahrt unter Wasser gedrückt zu werden. Das Ganze ist nur ein Versuch, doch er gelingt. Mit Gewalt kann ich eine dünne Stelle, wo die endlos-Rollleine gespleißt ist, in die Rolltrommel zurückbefördern. Also los zweiter Rollversuch. Diesmal geht es richtig schief. Ich steuere von Hand und versuche durch einen sehr raumen Kurs den Druck noch weiter aus dem flatternden Segel zu nehmen. Allerdings falle ich bei einer Welle zu sehr ab. Es bildet sich so eine gefürchtete Tasche. Das bedeutet, die obere Hälfte des Segels ist verkehrt herum um das Vorstag geschlagen und bildet jetzt oben im Masttop einen Windsack. Zu allem Überfluss laufen wir auch noch aus dem Ruder und ich sehe uns schon zum zweiten Mal die Fetzten eines Segels einsammeln. Beim dritten Versuch geht alles glatt und schon eine Stunde später laufen wir unter Stagfock und drittem Reff raumschots mit 18 Knoten die Wellen runter. Endlich ist alles Safe und die Biester von Riesen-Segeln sind verstaut. Felix bekommt jetzt, einige Stunden später endlich Schlaf.
Während wir uns da draußen abgekämpft haben ist das Baro kräftig gefallen und befindet sich nun schon wieder im Aufschwung. Ich komme endlich dazu mein Müsli zu essen. Der Nachmittag ist dann von permanentem Ausreffen und Spisetzen geprägt. Das Vormittagsprogramm rückwärts. Finger und Muskeln schmerzen. 12 Stunden nach der Hochseefischereinlage hat sich die Lage stabilisiert. Wir laufen mittlerweile unter ganzem Groß und Code 5 mit mal wieder bis zu 18 Knoten (am GPS - nicht auf der Logge - das scheint irgendwie so ganz gut zu sein).
Draußen herrscht Herbststimmung. Wegen der Nahen Inseln gibt es jede Menge Vögel. (Nachtrag: Das kann auch an dem Schwung Garnelen gelegen haben, die ich heute in einer Tauwerktasche im Cockpit gefunden habe). Die Luft und die Kälte erinnern an den deutschen Herbst. Ich habe ein getrocknetes Herbstblatt aus Köln von meiner Mutter, eigentlich als Lesezeichen in einem Buch, unachtsam runterfallen und zerbröseln lassen. So herrscht auch in der Kajüte Herbststimmung. Wir zelebrieren den 4. Advent mit unserem USB Weihnachtsbaum und einem deutschen Christstollen, den Felix vor der Abreise in Kapstadt bei “Giovannis” einem Italienischen Delikatessen-Geschäft erworben hat. Mit unserer neuen 4 Kilowatt Dieselheizung von Eberspächer wird es schnell gemütlich warm. Außerdem haben wir noch etwas ungehörte Musik auf dem Ipod gefunden. Wir resümieren die Lehren des Tages: “Das Wetter zieht verdammt schnell im Süden.” Binnen weniger Stunden geht das Programm über uns drüber, was auf der Nordsee typischerweise drei Tage füllen würde. Wir sollten nach dem Workout, pardon ich meine nach der Wache, Dehnübungen machen, wie es unser 470er Trainer vorgeschrieben hat, sonst werden die Muskeln steif.
Ausblick auf ein windiges Weihnachten
Unseren Kurs setzen wir so weit es geht etwas nördlicher ab, als der Idealkurs lauten würde. Wir fürchten uns etwas vor diesem Orkantief, das da heranrauscht. Wir machen uns Sorgen um Nico, der so weit nach Süden gesegelt ist. Letzte Nacht haben ich guten Schlaf bekommen, während Felix sich mit einer hartnäckigen Flaute abkämpfen musste. Heute morgen übernehme ich wieder und stelle mich auf das gleiche Projekt ein wie gestern, nur etwas heftiger. Seit 5 Uhr UTC hat der Wind von 8 auf 18 Knoten zugelegt. Jetzt ist es 9. Also in 4 Stunden. Die Dünung wird immer größer, was der Geschwindigkeit momentan abträglich ist, da sich der scheinbare Windwinkel zu stark ändert.
Und nun geht es auch schon los. Es ist böig. 20 Knoten - höchste Zeit um ein Reff ins Groß zu stecken. Warum wir die erste Woche nicht schreiben wollten wundert mich selbst. Wieder in so eine lange Etappe hineinzufinden fiel mir schwer. Wir waren beide von dem mentalen und psychischen Herausforderungen des Losfahrens, nichts vergessen zu dürfen, alles gut vorbereiten zu wollen, erschöpft und von den tatsächlich anfallenden Arbeiten auch müde. In den Nächten vor dem Start haben alles Segler wohl nur einige Stunden geschlafen. Auch etwas Angst und ein mulmiges Gefühl haben mich die ersten Tage beschäftigt. Dies ist nun allerdings verflogen.
Wir sehen, das Schiff funktioniert und hat gestern über 40 Knoten mit steilen, wenn auch nicht besonders hohen Seen locker gemeistert. Alles was wir an unseren Segeln machen hat ja mit Tauwerk zu tun. Man darf nicht vergessen, was für ein entscheidender Bestandteil Tauwerk bei einem modernen schiff ausmacht. Das Code 5 Fall z.B. übernimmt die Funktion eines Vorstags und trägt einige Tonnen. Das Wasserstag wird mit mehr als 5 Tonnen belastet.
Die Backstagen sind essenziell und das Kutterstag wird ebenso über Blöcke und Tauwerk auf Zug gebracht. Alles Elemente, die nicht versagen dürfen, da sie den Mast halten. An dieser Stelle möchte ich mich beim Team von Kohlhoff Rigging einmal ganz ausdrücklich für die hervorragende Arbeit bedanken.
Kurzfristig haben sie uns noch mit einigen Verbesserungen zu dieser Etappe versorgt. Dies macht einen wichtigen Teil des Vertrauens aus, mit dem wir in das bevorstehende Tief gehen.
Und gleich im Anschluss der neuste Podcast mit einem Interview von Timo Cyriaks mit Boris.