Boris Herrmann und Felix Oehme sind derzeit völlig befreit vom Weihnachtsgeschenke- Einkaufsstreß und schreiben im Logbuch der BELUGA RACER am Tag vor Weihnachten:
Dezember 23, 2008 (von Boris)
Eine aufregende Nacht.
Um 22 Uhr UTC sitzen wir im Boot und erwarten das jüngste Gericht. Allerdings bläst es “erst” mit um die 30 Knoten. Anstatt abzuwarten, biss wir von der nahenden Kaltfront getroffen werden, will ich lieber gleich weiter reffen. Ich steige in den Trockenanzug, schnalle meine Sicherheitsausrüstung um und klettere aufs Vorschiff. Doch eigenartigerweise blockiert das Kutterfall im Mast. Ich kann das Segel, das ich reffen möchte nicht herunter bekommen. Felix kommt mir zur Hilfe. Der Adrenalinpegel steigt. Ich habe Angst, das Segel könne vom Flattern zerreißen. Wir fallen direkt vor den Wind ab. Es ist stockfinster. Runterwinschversuche, mit durch Blöcke geschorenen Leinen führen nicht zum Erfolg. Der Adrenalinpegel steigt weiter. Wir arbeiten im grellen Licht der Decksbeleuchtung. Das Schiff schießt zwischendurch die Wellen runter und zerteilt die Wellen in zwei Gischfontänen. Dabei haben wir nur das Groß im dritten Reff und den flatternden halben Kutter (Kutter = Stagfock = kleines Vorsegel an innerem Vorstag).
Uns bleibt nicht viel anderes übrig. Felix ermahnt mich noch den Helm anzuziehen, aber ich will die warme Kapuze nicht absetzen. Er winscht mich am Forstag ca. 10 Meter hoch bis zum Kopf des schlagenden Kuttersegels. Ich bin dabei wie ein Bergsteiger mit voller Klettermontur ausgerüstet. Ich klammere mich mit beiden Armen um das Stag und werde wild hin und her gependelt. Zwischen den Stagreitern klicke ich jeweils meine Karabiner-Sicherungsleine um, so dass ich nicht unbegrenzt vom Vorstag wegpendeln könnte, sollte ich den Halt verlieren. Zum Glück ist es dunkel, sonst hätte ich viel mehr Schiss. Am Kopf des Kuttersegels angekommen muss ich mit einer Hand mindestens arbeiten. Doch wie soll ich mich dann noch halten. Zum Glück kommt mir ein spontaner Einfall: Ich klicke den Karabiner um die Leine, die mich Hält, das Spifall, und um das Kutterstag gleichzeitig. So bin ich eng gesichert und kann nicht weg schwingen. Ich befestige an dem blockierten Kutterfall eine Leine und schneide dann das Segel frei (es ist mit einem Loops-Block, einem halb aus Tauwerk bestehenden Block befestigt, so kann ich es leicht freischneiden). Felix lässt mich samt Segel wieder zurück an Deck. Wir setzen gemeinsam die Sturmfock und gehen wieder auf Halbwindkurs. Da immer noch ordentlich Druck im Schiff ist, geben wir dem Groß eine Verschlankungskur und zum ersten mal seit ich auf diesem Schiff segle bekommt es sein 4. Reff. Da die Reffleinen fürs 4. Reff nicht permanent geschoren sind müssen wir die erst noch einziehen. Doch das geht.
Nach gut einer Stunde Malloche falle ich erschöpft in die Koje, klappe diese maximal hoch um mich einzukeilen, schalte die Noise Cacellation Kopfhörer mit Musik ein - und schalte ab. Felix bestreitet dann die Frontpassage in Standby im Überlebensanzug. Er filmt die Blitze und das Gewitter. Es regnet. Einmal wache ich auf, weil wir von einer Welle um 360 Grad gedreht werden - um die Mastachse zum Glück wir werden also von der Welle gewendet und Felix muss draußen für Ordnung sorgen.
Als ich wieder übernehme, scheint das meiste vorbei zu sein. Es wird hell, klart auf und der Wind pendelt wieder um die 30 Knoten. Ich mache die Dummheit auszureffen, das Groß vom 4. Ins 3. Reff und außerdem rolle ich die Genua aus. Ich sehe nicht rechtzeitig die Wand mit fliegendem Wasser. Das Schiff gerät außer Kontrolle und luvt an, holt weit über. Ich muss die Genua aufwerfen und fange wie ein Wahnsinniger an zu winschen, um sie einzurollen. Felix taucht im Niegergang auf und Hält die Schot etwas auf Zug. Leider dauert es eine halbe Ewigkeit und als sie eingerollt ist, ist der Fuß des Segels leicht angerissen. Aber es scheint mir nur die Liekleinentasche am Unterliek kaputt gegangen zu sein. Ich hoffe nichts Schlimmes. Das 4. Reff wieder ins Groß zu bekommen ist ein Kraftakt. Ich muss es mit aller Gewalt herunterwischen. Zum Glück haben wir in Kapstadt bei North Sails eine extra Runterwinschleine am Großsegel installiert.
Mittlerweile, während ich dies schreibe bläst es mit konstant 48 und in Böen 54 Knoten. Wir laufen zwischen 13 und 19 Knoten unter Sturmfock und 4. Reff raumschots. Die See wird steiler. Mir ist etwas mulmig. Der Niegergang ist verrammelt. Die Segel sind auf das Kleinstmögliche gerefft. Das Schiff macht sich bislang gut. Ich hoffe, dass es bald weniger wird. Unser digitaler Barograph kann den Druckverlauf gar nicht aufzeichnen. Anstatt einer Treppe mit Stufen für die Druckschritte pro Stunde ist einfach ein Balken ganz unten und einer ganz oben direkt nebeneinander.
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