5 Januar 2009
(von Boris) Wir stehen auf der Länge von Sri Lanka und etwa 370 SM nördlich der arktischen Konvergenz. Ich sitze auf einer gemütlichen Bank mit Rückenlehne vor meinem Schreibtisch. Es ist Dunkel, der Bildschirm ist gedimmt, warmes Licht einer 12 Volt Birne beleuchtet den Hintergrund. Einige Leuchtdioden von verschiedenen Schaltern und gedimmtes Licht verschiedener Anzeigen. Etwas Weihnachtsdeko pendelt und schwingt mit den Bewegungen des Bootes. In meinem 3 cl. Glas schaukelt 10 Jahre alter Single Malt Whiskey, noch der augenscheinlichste Indikator, dafür, dass sich alles bewegt. Ich höre nichts. Ich lasse mich vom Sounderlebnis meiner Kopfhörer berauschen. Noise Cancelling, viele Herz Impedanz, satter Sound, Musik als Lebenselixier in einer Wüste. Eine leere Wüste unendlich voll von möglichen Emotionen. Man muss sich warm anziehen, die Schotten entriegeln, an Deck treten. Es ist so sehr Alltag für uns, dass wir mit 15 Knoten unter einem glitzernden Sternenhimmel dahinsurfen. Ich muss mich kneifen, um noch was zu merken. Man kann das nicht 18 Stunden am Tag mit großen Augen und offenem Mund bestaunen. Irgendwann sitze ich wieder vor meinem Laptop mit dem Sounderlebnis, schalte ab, tanke Energie und finde den Ausgleich, der das Leben auf so einer langen Etappe so lebenswert macht, trotzdem wir nur zu zweit und nur auf wenigen Quadratmetern zusammen hausen.
Dennoch, die Energie der Umwelt überträgt sich permanent auf mich. Die Spannung, die Intensität. Man lebt wie eine Wildkatze, immer auf der Lauer, bereit aufzuspringen. Das ist unser eigentlicher Job beim Zweihandsegeln. Nicht permanent an Deck zu hocken und in die Segel zu glotzen, zu steuern oder wie beschränkt zu winschen. Wir können alles vergessen, schlafen, lesen, träumen, an Texten arbeiten, Notizen sortieren, Bilder verwalten, die Seele baumeln lassen, ja solange wir nur in jedem Moment bereit sind, beim kleinsten Zeichen wie ein Blitz an Deck zu stehen. Solange wir permanent unterbewusst segeln, das Boot fühlen, den Kurs im Augenwinkel im Blick haben. So gewinnen wir unsere Meilen. So haben wir die letzte Etappe gewonnen.
Wir laufen einen Kurs über Grund von 113 Grad bei einem wahren Windwinkel von 130 Grad und Windspeed von 23 bis 25 Knoten. Wir surfen permanent. Die Geschwindigkeit variiert je nachdem, ob wir die Wellen hoch- oder runterfahren zwischen 12 und 18 Knoten. Unter der aktuellen Besegelung und mit allem Gewicht maximal achtern in Luv ein perfektes Gleichgewicht. Das Stauen hat uns heute Mittag nach der letzten Halse 30 Minuten in Anspruch genommen.
Für den Jollensegler ist dieses Raumschotsgleichgewicht bei einem gleitenden Boot alles. Das Gleichgewicht ergibt sich bei einem bestimmten Windwinkel. Etwas spitzer zum Wind und der Druck übersteigt das aufrichtende Moment, das Boot krängt und schmiert ab. Etwas zu stumpf, zu tief sagen wir auch, und der Vorschoter wird durchs Wasser geschlurft, weil der Winddruck zu gering geworden ist. So ist es auch bei unserer breiten Gleitflunder, die wie eine Jolle segelt. Werden wir von einer Welle ein paar Grad aus dem Kurs geworfen, geht meine Aufmerksamkeit von den Pianotunes und dem Laptopscreen 19 cm nach links auf die Brooks and Gatehouse GFD Anzeige und den Windwinkel. Die Hand fährt reflexhaft zum Ohr und hebt die Kopfhörermuschel etwas. Ich lausche, ob das Schlürfgeräusch am Leeruder etwa 5 Meter hinter mir unter den Rohrkojen hervorklingt. Dann war der hydrodynamische Druck zu groß, die Oberflächenspannung des Wassers hat nachgegeben. Luft wird ans Ruderblatt gesaugt und das Ruder fängt an zu flattern, zu schlürfen. Das Boot dreht in den Wind, ich springe auf, stoße das Niedergangsschott, das einen Meter hinter mir ist auf und bin in weniger als 1 Sekunde an der Code 5 Schot. Erst wenn ich alle Schoten aufgeworfen habe, dreht sich das Schiff wieder auf Kurs. Ich gehe nach unten, es ist nichts passiert. Das ist nicht schlimm. Es ist normal. Nachher heute Nacht, wenn das Tief näher kommt, wird das extremer. Dann kommt bei so einem Sonnenschuss so viel Wasser über Deck, das ich nicht wie jetzt mit meiner Midlayerkleidung ungestraft zur Winsch kommen würde. Ab 30 Knoten wollen wir keinen Sonnenschuss mehr. Dann steigt der Adrenalinspiegel noch etwas. Das Schiff ist dann zum Teil schneller als die Wellen und schlägt auch raumschots so über die Wellen, wie sonst nur am Wind. Wenn wir jetzt querschlagen denkt man sich, geht etwas zu Bruch, wenn auch erstmal nur ein Nervenbündel in meinem Hinterkopf.
Jetzt ist es noch nicht so weit. Es sind genau diese genialen Bedingungen, wo noch keine besondere Bruchgefahr herrscht man aber unterbewusst Bewegungen des Schiffes in sich aufnimmt, die einen dynamisieren und energetisieren, sei es, ob man schläft, isst oder am Rechner sitzt.
Der dreidimensionale Gyrosensor in meinem Hirn nimmt alle Beschleunigungen wahr und mein Nervensystem segelt aktiv jeden Meter mit. Ich hab mal gelesen, dass Schaukelstühle und Neigebewegungen bis zu 2,5 Grad das Gehirn stimulieren. Denken sie an den grinsenden Opa auf der Terrasse. Auf dieser Bank zu sitzen, zwischendurch auf die Zahlen zu schauen und mit dem Körper die Beschleunigungen nach vorne und hinten beim Abbremsen und Beschleunigen in den Wellen abzufangen ist berauschend. Ich stehe sowieso immer unter Strom. Warte mal mein Whiskey ist alle, die 3 Cl meine ich.
Wir entladen gerade bei 4-8 Ampere je nach Ruderlage unsere Batterien. Noch 21 AH Kapazität und eine Spannung von 11,9 Volt. Das Barometer und die Temperatur fallen stetig. Unser VMG, der Geschwindigkeitsvektor zum nächsten Wegepunkt liegt bei 14,4 Knoten. Unsere Polarrate liegt bei 104,3 %, weil wir gerade etwas pushen – eigentlich wäre langsam ein Reff im Großsegel fällig. Ich habe links auch auf einer Anzeige die wahre Windrichtung und Windgeschwindigkeit der letzten drei Stunden in einem Zeitdiagramm auf einem der Brooks and Gatehouse GFD Displays – angenehm gedimmt, gut zu lesen und beruhigend stetig. Geniale Segelbedingungen hier. Lauter „Numbers“ die man als Segler mit seinem inneren Auge abwägt und die für Kurzweil sorgen. Keinen der Werte darf man aus den Augen verlieren. Würden wir es verpassen, rechtzeitig zu laden, könnte der Pilot ausfallen, das Schiff ungewollt halsen und eine Katastrophe entstehen. Den Stromverbrauch beobachten wir auch oft, da wir mit dem Diesel haushalten müssen.
Es sind aber alles positive Zahlen. Die Energie der Natur, die uns vorantreibt, da wir ein modernes, leistungsfähiges Boot haben, stets in die richtige Richtung und zu erfreulichem Speed. Es sind der Natur nach solide, echte, verlässliche Messdaten aus der ganz reellen Wirklichkeit da draußen in der dunklen Nacht 2 Meter über unserem Masttopp an einem 2 Meter langen Kohlefaserarm auf 0,05 Grad genau gemessen.
Ein Finanz-Broker mag auch Kurzweil bar der Zahlenfülle auf seinen Screens am Handelsplatz empfinden, ihr im Office habt die Mails die ständig reinflattern. Doch das ist alles offensiv. Dinge, auf die man nicht nur beobachtend schauen kann, auf die ihr reagieren müsst.
Ich kann mich hier einfach zurücklegen und sehen, wie gut es läuft. Doch da, ein Peak, der TWS-Wert geht auf 28 Knoten, das Schiff dreht sich auf Heading 95 Grad hoch, der TWA geht runter auf 90. Der Code schlägt vorne dumpf auf dem Vorschiff. Ein Sonnenschuss. Ich bleibe diesmal ruhig sitzen. Er ist nicht so extrem. Der Pilot ist auf „Performance 3“, Recovery Mode „Narrow“, Automatic Response „Sport“ eingestellt. Ich sehe hier am GFD Display den Ruderlagegeber, der Pilot legt radikal Ruder. Nach wenigen Sekunden surfen wir schon die nächste Welle ab, ein Peak, der Speed geht auf 20,05 Knoten. Ich bin sicher, würde ich jetzt aufhören zu schrieben, den Kopfhörer absetzen und rausgehen, ich würde Angst bekommen und den Kopf einziehen. Wozu auch? Ich kann von hier sehen, dass alles im grünen Bereich ist. Ich schätze in einer Stunde ist ein Reff im Groß fällig. Doch alles zu seiner Zeit. Erstmal kann ich noch diesen intensiven Moment des Komforts des schnellen Segelns vor dem Tief, die Musik und meinen kleine Whiskey genießen.
Mark Whiley, ein faszinierender Elektronikspezialist ist mit uns in Portimão rausgesegelt und hat uns die Fortgeschrittenen-Einstellung unseres Brooks und Gatehouse Piloten erklärt. Die Settings die wir jetzt eingestellt haben nennt er „fuck the power-settings“. Man sieht es am Amperemeter, dass auf den Wellenkämmen auf 9 Amps ausschlägt. Dafür braucht man bei 12 Volt schon ein fettes Kabel. Er kann seinen Laptop an die große schwarze Box des Piloten, in die alle Kabel laufen, anschließen und noch etwas mehr herauskitzeln. Wir nennen diese Box im Jargon „Intelligence“ sowohl auf Französisch, wie auch auf Englisch. Mist – nun doch ein richtiger Whipeout. Ich springe raus, fiere etwas die Schoten. Ich geh noch mal runter, schalte das Deckslicht ein. Ein starker Strahler im Mast, der auf das Deck leuchtet. Spray fliegt jetzt durch das unwirkliche Bild. Diese Szenerie erinnert mich irgendwie immer unwillkürlich an Kriegsfilme. Es ist ein Blindflug. Raue Kräfte sind am Werk. Man steht in aller Anspannung dort, bereit die Schot zu fieren. Das Schiff ist unter Dampf – „powered up“. Etwas, was dem normalen Seglerinstinkt zuwiderläuft. Aber so geht das. Man geht wieder unter Deck. Die Kiste will etwas getreten werden. Die 5 Tonnen müssen ja irgendwie da durch, durch diese Dünenlandschaft. Das wird ab 28 Knoten unweigerlich zum Spektakel. Fragen sie mal einen Volvo- oder Vendee Segler. Dagegen ist das hier eher ein Kindergeburtstag. Je mehr Power ein Schiff hat, mit seinem Schwenkkiel usw., desto militärischer wird diese Nachtszene mit dem Deckstrahler. Im normalen Ernstfall hat der Spray über Deck so eine Wucht, dass man sich als Anfänger nicht mal halten kann.
Nee nee, ich fantasiere. Hier bei uns ist alles ganz kommod. Wir heizen einfach etwas. Alles menschlich, beherrschbar, einfach genial. Ohne Angst. Ohne Millionenbudgets, die bei jedem zweiten Wellenkamm auf der Kippe stehen. Dafür sind wir auch nur zwei kleine Lichter in der Szene. Zwei Newcomer auf einem Fourty. Gut so. Zurück zu meinem Schreibtisch.
Mehr wie immer auf www.beluga-racer.com.Die Fotos haben Boris und Felix aufgenommen, wer auch sonst?