Dienstag, 3. Februar 2009

BELUGA RACER - Abenteuer Technik

Neues von Boris und Felix aus Wellington:

Januar 28, 2009 
(von Boris) Das große Hallentor rüttelt in den Windböen. Regen prasselt aufs Dach, der Wind heult. Zu viert stehen wir über die Enden silbriger Drahtstangen, unsere Wanten, gebeugt.

Die Szene an diesem Regentag im modernen Wellingtoner Stadtzentrum nahe des großen Nationalmuseums, das zur Zeit eine 20 Meter große Riesenkrake ausstellt, könnte für Außenstehende banaler nicht wirken. Teenager skaten sonst in einer Halfpipe in der Nähe, fröhliche Spaziergänger genießen sonst die Sonnenstrahlen und den schönen Blick bei ihrem Spaziergang an der Hafenpromenade. Heute aber ist die Stadt leergeblasen von diesem nassen Sturm, Wolken jagen über den Hafen. In dieser sonnigen Stadt, aus der man sonst immer einen Blick auf das karibisch-türkise Meer und weiße Schaumkronen unter einem blauen Himmel mit Schäfchenwolken hat, herrscht heute das Wetter von Kap Horn.

Und genau darauf bereiten wir uns in dem Moment vor. Drei Wochen ist es her, dass Jean Le Cam aus seiner gekenterten „VM Materieux“ gerettet wurde, 200 SM westlich des Horns. Metall hatte versagt, die Kielbombe ist gebrochen. Vincent Riou, der nächste Konkurrent im gerade laufenden Vendee Globe Rennen hat Jean gerettet, unter Segeln ist er im Sturm und bei riesiger See an die VM Materieux herangekreuzt und hat Jean eine Leine zugeworfen, mit der er ihn an Deck ziehen konnte. Zu nahe ist er dabei gekommen. Vincent hat einen Tag später seinen Mast verloren, da er mit der VM Materieux bei dem Rettungsmannöver kollidiert war.

Hochseesegeln ist ein technischer Sport und ein Abenteuer. Aus der Sicht des Skippers ist es technisch, aus der Sicht der Websitebsucher und Medien abenteuerlich. Wir als Skipper können uns keinen Leichtsinn erlauben. Da nur wir und kein anderer verantwortlich ist, kommt es für mich nicht in Frage, die Inspektion des Schiffes zu delegieren und in den Urlaub abzureisen. Wenn der Mast gebrochen ist, habe ich als Skipper, den falschen Mastenbauer gewählt, ist der Kiel gebrochen, hätte ich einen Ultraschalltest machen müssen oder den Kiel austauschen müssen, hat eine Wante versagt, hab ich sie nicht gut gewartet oder den falschen Ingenieur engagiert. Im Südpazifik, westlich des Horns ist die Frage der Verantwortung ziemlich egal. Es geht ums Überleben. Als Skipper denkt man auch an seine Segelkarriere, das Sponsoring und die Verantwortung denjenigen gegenüber die einen unterstützen.

Die Medien, zumindest die französischen, feiern Vincent und Jean als Helden. Jeans Kielbruch hat die ultimative Abenteuergeschichte geschrieben, wie sie die Franzosen so lieben. Stunden von Fernsehreportagen stehen den Skippern und Sponsoren ins Haus. In Frankreich gibt es kein Reden vom Desaster, das Vendee Globe eins der größten Abenteuer der Gegenwart, lebt.
In dieser Wahrnehmung steckt eine nationale Weisheit über die See. In wenigen Wochen könnten auch wir flügellahm ohne Mast im Southern Ocean humpeln und das Rennen für uns damit zu Ende sein. Die See und besonders der Große Süden sind temperamentvoll und mächtig - wir zierlich und filigran: Im letzten Sturm am Horn haben sich Brian und Dee, zwei der Vendee Globe Skipper versucht, hinter Staten Island zu verstecken. Bei 110 Knoten Windgeschwindigkeit wurden die Fenster auf der Brücke eines nahestehenden, 200 Meter langen Kreuzfahrers eingeschlagen.

Vor uns in der wellingtoner Werkstadt liegen also die Enden der Wanten, eine der möglichen Schwachstellen. Wir betrachten das Resultat von zwei Tagen Arbeit, die in einem „Dye Pen Test“ ihren würdevollen Höhepunkt findet. Das gereinigte Material habe ich mit zwei chemischen Flüssigkeiten behandelt. Diese so genannte „Dye penetrant inspection“ (DPI) ermöglicht es, Haarrisse im Material aufzudecken, die mit bloßem Auge nicht sichtbar wären. Die Methode ist denkbar simpel. Die zuerst aufgetragene Flüssigkeit kriecht in einen möglicherweise vorhandenen Haarriss hinein. Bevor die zweite Flüssigkeit aufgetragen wird, wird die erste von der Oberfläche der Wanten gründlich abgerieben. Nun wird die 2. Komponente aufgetragen. Wäre ein Haarriss vorhanden, würden die darin befindlichen Rückstände der ersten Flüssigkeit mit der zweiten Komponente reagieren und sich als roter Strich vor der sonst weißen Farbe des Developers, der zweiten Behandlungsschicht abheben (siehe Zeichnung). In unserem Fall bleibt alles weiß. Josh Hall unser Rennleiter, Gordy, der Seniorrigger, Matt der Juniorrigger und ich richten uns erleichtert auf. Der Regen hat sich mittlerweile ebenfalls gelegt. Zum Abend kommt die Sonne wieder heraus.

An einem stürmischen Regentag, wenn wir das Kap Horn runden, schütten wir etwas Whiskey in die See und aufs Deck unseres Schiffes, dann haben wir nicht nur das Abenteuer Technik gemeistert.

PS für Insider:
Genau vor 10 Jahren hat Josh Hall im Around Alone 1998 / 99 auf der dritten Etappe 500 SM östlich von Neuseeland aus unbekannter Ursache Mastbruch erlitten. Er hing dann einige Wochen auf einer kleinen Fischerinsel, den Chatham Islands, fest. Streit mit der Versicherung, Schiffsrücktransport nach England, Mastbau und finanzielle Einbußen haben ihn und den Sponsor damals nicht nur das Rennen, sondern auch ein ganzes Projektjahr gekostet.
Wir haben den Mast der „Beluga Racer“ mit einem großen Autokran an Land gehoben, ihn in Einzelteile zerlegt und diese gereinigt. Apropos, warum nennt man die Hände guter Handwerker golden? Meine sind nämlich schwarz, von altem Spezialfett, sogenanntem Tef-Gel, mit Teflon angereichertem Fett, das sich in den letzten 18.000 Meilen mit Spuren von Salz und etwas Aluminium- und Niroabrieb vermengt hat, wie altes Motoröl. Warum ist Fett und Schrauberei im Spiel an einem Mast? Laut Klassenregel müssen die lateralen, also die seitlichen Wanten aus „Rod“ sein, das sind Nirostäbe. Teures PBO ist zum Glück verboten. Unsere Rodwanten haben an den Ende kalt gepresste, konische Köpfe, die in speziellen gefrästen Schuhen stecken. Wenn sich diese Köpfe in den Widerlagern an Masttopp, Salingen usw. bewegen, kann es zu Abrieb und Verschleiß kommen. Daher werden die Widerlager gefettet. Wegen der Kaltpressmethode wird das Niromaterial an den Wantenenden bei der Produktion gestresst. Daher testen wir nur alle kaltgepressten -, nicht die gedrehten oder gefrästen Teile mit Dye Penetration. Bolzen der Salinge und Vorstage schleife ich lediglich sauber und unterziehe sie einem optischen Check.

Für beste Beratung und Hardware für Ihr Rigg empfehle ich Ihnen www.kohlhoff-rigging.com.

Quelle Text und Fotos: www.beluga-racer.com